Digikry-Digikreide-Story

Mario Krygier – Wie es zu Digikreide kam.





Unser Land wird von einer Bildungsmisere bedroht. Dennoch machen die meisten Verantwortlichen „business as usual“. Ich bin nicht der Einzige, der die Gefahr erkennt und weiß, dass bald die eigenen Enkel in eine unzeitgemäße und unterversorgte Bildungzukunft gehen werden. Schon seit meinem Berufseinstieg 1995 dokumentierte ich mit meiner Abschlussarbeit zum Zweiten Staatsexamen mein besonderes Interesse an der Etablierung der Informationstechnik in den Schulen. Mein Dorfgymnasium mit damals jungem Kollegium und einem progressiv eingestellten Chef ging voran. Als Referent in der Lehrerfortbildung versuchte ich einige benachbarte Schulen mitzunehmen. Gern denke ich an diese Aufbruchzeit zurück. Als ich, damals tätig als Lehrer für Mathematik, Physik, Astronomie und Informatik, 2008 mit dem Schulleiter vor jenem Gymnasium stand, das ich nach 13 Jahren tollen Lehrerdaseins zugunsten eines Informatikstudiums zu verlassen beabsichtigte, sahen wir zukünftige Engpässe im Bereich naturwissenschaftlicher und informationstechnischer Bildung auf uns zukommen. Das war für mich nicht hinnehmbar. Meine Mission war klar: Ich arbeite für einen sinnvollen DigiFortschritt! Das späte Zweit-Studium ließ mich an den Film „Feuerzangenbowle“ denken. Die guten Vorlesungen genoss ich, in den weniger guten, bisweilen sogar sehr mäßigen Vorlesungen glitt ich in einen sanften Schlaf mit tollen Zukunfträumen:

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Ich sitze im Landesschulamt. Mir gegenüber sitzt ein Amtsleiter, der es kaum erwarten kann, den digitalen Fortschritt auf breiter Front in die Schulverwaltung und die Schulen zu bringen: „Das Bildungsministerium gründet eigens eine Abteilung mit allen Befugnissen und einen unkomplizierten Zugriff auf unseren Teil der Wanka-Milliarden. Nächste Woche fällt der Startschuss für Sie und die besten Mitstreiter. Das Bildungsministerium spricht von Chefsache und auch das Landesinstitut für Lehrerbildung sitzt mit im Boot. Und das Spannendste: Die Taskforce wird bei uns im Landesschulamt sein.“

In der Tat gab es unter den wie ich zum Studium delegierten Landesbediensteten einige prädestinierte Kandidaten für eine schlagkräftige Digitalisierungstruppe. Leute mit Erfahrungen, Ideen und Lust auf großen Fortschritt. So haben wir schon mal die wildesten Konzepte am studentischen Biertisch ersonnen und im Traum perfektioniert:

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„Zunächst müssen alle Schulen an das schnelle Internet.“
„Wir müssen die Lehrer*innen von Anfang an mitnehmen durch Dialog und Fortbildung.“
„Ja klar, also brauchen wir zuerst eine Plattform auf der alle Stakeholder mitarbeiten.“
„Wir gründen Expertenteams, Inseln schulübergreifender Zusammenarbeit.“
„Super, dann haben wir auch schon die Keimzellen für den später erforderlichen Support.“
„Betreuung und Wartung auch, wenn wir die Schulträger mitnehmen.“

Die bittere Wirklichkeit nach dem Studium sah dann ganz anders aus: Das System war träge, die entscheidenden Akteure waren sich nicht einig. Man verliert sich im Gerangel um die Zuständigkeiten, des Personalmangels und der Minderbedeutung der Digitalisierung. Chefsache – Fehlanzeige. Wanka-Milliarden unerreichbar. Transparenz und Zusammenarbeit sehr rudimentär. Aus meinen Träumen wurden Albträume:

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Ich baue in meinem Büro ein Raumschiff, aus Mangel an modernem Equipment mit dem Hammer und ein paar Nägeln. Ich darf nicht so laut hämmern, dass der normale Betrieb in den anderen Büros nicht gestört wird. Eine Abteilungsleiterin ermahnt mich: „Wir brauchten keine Raumschiffe, sondern Handwagen, um die Akten hin und her zu fahren.“ Mein Einwand, dass alles viel besser laufen könnte, wird typisch erwidert: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Jeder Überredungsversuch führt dann zu: „Herr Krygier, Sie sind ungeduldig, ungehorsam, arrogant, … Sie sind einfach nicht amtstauglich.“

Schweißgebadet wachte ich dann auf und wusste, dass es im Detail in den letzten acht Jahren sogar noch schlimmer war. Die Bilanz nach dieser Zeit im Landesschulamt, im Institut für Lehrerbildung und im Bildungsministerium ist viel zu mager: eine Handvoll Projekte, selbst konzipiert und implementiert, manchmal gegen den Willen von Spielverderbern aus der IT-Abteilung und bedeutender Vorgesetzter sowie vor allem viele ergebnisarme Stuhlkreise. Ich fühlte mich zunehmend vor die Wahl gestellt, gutbezahlter Versager zu bleiben oder aus dem kranken System auszubrechen. Mich beschlich das mulmige Gefühl, dass sich unsere Bildung in dieser Aufstellung nicht à la Münchhausen selbst aus dem Sumpf ziehen kann.

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Apropos Sumpf: Ein Mann mittleren Alters findet seine späte Bestimmung darin, spannende Expeditionen im Dschungel von Südmexiko, Belize, Guatemala und Honduras zu unternehmen, um Überreste einer untergegangenen Hochkultur aufzuspüren und ihnen Geheimnisse zu entlocken. Die Forschungsergebnisse gipfeln in diversen Artikeln und Büchern, vor allem aber in inzwischen international genutzter Software zum Mayakalender bzw. zur Mayaastronomie.

Das ist definitiv besser als beruflich auf der Stelle zu treten, oder? Nun, was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ich überlasse es mal dem fantasiereichen Leser, einen Zusammenhang zu konstruieren. Vielleicht entsprang die folgende Idee einem Traum in der Dschungelhängematte: Digikreide ist die bessere Zukunft. Es war keine Heldentat, aber eine Befreiungstat – ein Moment höchster Genugtuung – meine Kündigung im Landesschulamt. Kann ich nur weiterempfehlen. Ist insofern eine sehr befreiende Aktion, plötzlich steht dir die ganz Welt offen. Ein Neuanfang mit Traumjobpotenzial. Definiere deine Bedeutung neu. Gib deiner Arbeit einen optimierten Sinn. Was kannst du gut, was machst du am liebsten? Auf welche Weise ich anderen Menschen nun helfe und mir dabei Spaß, gute Laune und Dankbarkeit sichere geht aus einem meiner aktuellen Träume hervor:

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Die aufgestellten Whiteboards zeigen die konzeptionellen Konstrukte der letzten Coaching-Sitzung. Heute gilt es digitale Nägel mit Köpfen zu machen. Das Assemble aus Tischen, Stühlen, Computern, Monitoren und Großdisplay ist derart aufgestellt, dass man sich auf der Brücke des Raumschiffes Enterprise wähnt. Mein Coachee arbeitet eifrig an den Zuarbeit-Aufgaben. Ich brauche Daten, seine Daten, um mit ihm gemeinsam sein Produkt zu erstellen. Wir diskutieren über Nuancen der Datenbankoptimierung, da klingelt sein Telefon: „Unser Prokurist kann die Messepräsentation nicht halten, wir brauchen schnellen Ersatz.“ Ich starte eine Zoom-Sitzung und sage wie Capitain Picard „Auf den Schirm!“ Nach einer Stunde Videokonferenz ist die multimediale Präsentation grundsätzlich fertig.

Der Coachee ist offenbar kein Lehrer! Nein, ist er nicht, sondern eine Nachwuch-Führungskraft aus einem lokalen Unternehmen. Habe ich den Fokus verloren? Ganz und gar nicht. Das ist eine situationsbedingte Geschäftsmodellanpassung. Durch das Corona-Chaos komme ich an die Lehrer*innen nicht heran. Also helfe ich DigiInteressierten aus der Wirtschaft. Der Renner: Wir bauen gemeinsam eine Webseite mit Frontend und Backend unter der Maßgabe der möglichst einfachen administrativen und redaktionellen Betreuung. Da ist der Einsatz des üblichen Wordpress nur bedingt empfehlenswert. Der Clou: Das Grundkonzept der einfachen Webseite ist mit Anpassungen wiederverwendbar. Da stellt sich die spannende Frage, ob auch Lehrer*innen davon profitieren könnten. Die wesentlichen Anforderungen neben der Einfachheit sind dann

  • die private Verwaltung der eigenen Lehrer-Dateien
  • die öffentliche Bereitstellung von PDFs, Bildern und Videos für Lernzwecke
  • die Möglichkeit der Vergabe von Aufgaben und Material in einem Anmeldebereich für Klassen
  • die Möglichkeit der Entgegennahme von Lösungen im Anmeldebereich für Klassen
  • zeitsparend durch Überblick und passgenaue Workflows

Wo bleibt dann noch das Coaching für die Lehrer*innen? Ein vorhandenes Programm macht noch keine Routine in dessen Handling, in Selbstorganisation und vor allem im sehr breiten Anwendungsfeld der Erstellung von eigenem Unterrichtsmaterial. Wenn es mir gelingt auf meine Weise vielen Kolleg*innen zu helfen, kann ich wieder ruhig schlafen und träumen:

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Als stolzer Opa Mario bringe ich die kleine Emilia in die Schule und frage: „Worauf freust du dich heute am meisten?“ „Wir werden heute basteln.“ „Da bleiben die Computer mal aus, oder?“ „Aber Opa, hast du denn gar keine Ahnung? Wir haben doch die Bastelvorlagen mit dem 3D-Programm erstellt. Da müssen wir heute drucken – die Papierteile mit dem normalen Drucker und die Plasikteile mit dem 3D-Drucker.“ „Aha, sicher schicke Traumhäuser?“ Nein Opa, Raumschiff Enterprise vor dem Sternenhimmel!“